Trauer der Väter
Unsere Ansprechperson für betroffene Väter: Stefan Dorn-Wehner
In unseren westlichen Kulturen tun wir uns schwer genug, einer Frau zu begegnen, deren Kind gestorben ist. Wieviel schwerer haben wir es, einem trauernden Vater gegenüber in angemessener Weise zu reagieren! Meistens fragen alle nach dem Ergehen der Mutter, der Vater wird häufig nicht beachtet. Möglicherweise haben wir Angst vor den Tränen eines Mannes. Männer haben nicht die „kulturelle Erlaubnis“ zu trauern.
Männer tragen eine doppelte Last. Sie fühlen ihre eigene Trauer und leiden gleichzeitig, weil ihre Frau leidet. Sie meinen, ihr die Traurigkeit nehmen zu müssen oder ihr Antworten auf ihre Fragen schuldig zu sein. Dies wird verstärkt durch die Ermahnung anderer Männer und mancher Gynäkologen, „für Ihre Frau stark zu sein“. So hält ein Mann – als Zeichen von Stärke – seine eigene Traurigkeit zurück, um seine Frau nicht auch noch mit seinem Schmerz zu belasten. Frauen können dies leicht als Gleichgültigkeit missverstehen.
Männer in unserer Kultur haben oft keine Quelle, aus der sie Kraft schöpfen können. Sie bilden selten intime Freundschaften, in denen sie ihr Herz ausschütten und Zuwendung bekommen können. Die meisten haben nicht gelernt, sich über ihre Gedanken, Gefühle und Sorgen auszusprechen. Das Risiko, langfristig von einem solchen Verlust verdeckt Schaden davon zu tragen, scheint bei Männern größer als bei Frauen.
„Ich kann ja verstehen, dass meine Frau durch die unmittelbare Betroffenheit und den körperlichen Bezug zu unserem Kind das größere Leiden hat, und ich bin ja auch bereit, ihr mehr Liebe und Aufmerksamkeit zu geben. Aber sie hat nur eine geringes Verständnis dafür, dass auch ich leide. Das Dilemma ist, ich weiß überhaupt nicht, woher ich selbst meinen Trost kriegen soll. Auf lange Sicht entwickele ich alle möglichen Symptome des Zu-Kurz-Kommens wie Übellaunigkeit und Depressionen.“
Wenn Männer die Erfahrung an sich heranlassen, kann dies auch nicht unproblematisch sein. Ein Vater stellte die eigentlich berechtigte Frage:
„Wo kämen wir denn hin, wenn wir beide zusammenbrechen würden?“
Im Idealfall, sagt Stephanie Matthews-Simonton, die große Erfahrung mit Sterbenden und Trauernden hat, könnten Trauernde sich zu 25 % aus eigenen Kraftquellen helfen, 20 % der Unterstützung komme vom Partner und 55 % aus anderen Quellen.
Bald darauf wieder zur Arbeit zurückzukehren, wo Produktivität erwartet wird, kann schwer sein für einen trauernden Vater, der doch auch Zeit für seine Trauer braucht. Schon wegen ihrer Arbeitssituation können Männer es sich nicht „leisten“, die Trauer auf die Art an sich heranzulassen wie Frauen. Nach der Geburt eines Kindes bekommt der Vater einen Tag, nach dem Tod eines Kindes zwei Tage frei. Nach einer Fehlgeburt müssen Männer schon am nächsten Tag wieder bei der Arbeit sein. Ein trauernder Mann stößt in der Arbeitswelt oft auf Unverständnis.
„Ich musste kurz darauf wieder in der Schule stehen. Vor den kleinen Kindern konnte ich doch nicht einfach losheulen, die hätten das nicht verstanden. In einem anderen Job hätte ich mich vielleicht einfach für zehn Minuten auf der Toilette zurückziehen können, um mich auszuweinen, wenn es gerade wieder über mich hereinbrach. Doch so musste ich tapfer sein und durchhalten.“
Arbeit und Handlung kann in der Tat der Trauer dienen. Es scheint wirklich so, dass die männliche Seite in uns unsere Trauer eher durch Aktivität und Kreativität erschließen kann. Doch die Handlung muss bewusst mit dem Schmerz verbunden werden. Der spontane, kreative Teil in uns wird durch unterdrückte Trauer erstickt. Wenn ein Mann sich auf seine Weise der Trauer stellen kann, mag dies eine Hilfe auf seinem Weg zu mehr Ganzheit bedeuten. Aus der tiefen Not heraus geboren entsteht die Chance, die noch nicht erschlossenen – vielleicht die verletzlichen und zarten – Seiten zuzulassen und neue Verhaltensweisen auszuprobieren.
Zulassen der Trauer ist ein Zeichen von Stärke. Die Zeit des Leidens kann eine Zeit des Lernens sein, neue Beziehungswege einzuschlagen. Inmitten der Krise kann ein Mann wirkliche Freunde finden – Menschen, die ihm geduldig zuhören, wenn er „seine Geschichte“ erzählt, die keine Angst vor menschlicher Nähe haben, die Respekt vor seiner Trauer und seinen Tränen haben – und ihm seinen Raum geben, wenn er ihn braucht.
Sie können sich fragen:
• Fühle ich mich als Mann für das Wohlergehen meiner Frau verantwortlich?
• Wie viel Unterstützung erhalte ich aus meinen eigenen Kraftquellen, wie viel aus
• anderen Quellen und wie viel kommt von meiner Partnerin?
• Gibt es Menschen, mit denen ich ehrlich und aufrichtig über die Tiefe meiner
• Erfahrung sprechen kann? Oder wie könnte ich es anstellen, jemanden zu finden?
• Welche Auswirkungen hat meine Arbeit auf mich? Blockiert sie den Ausdruck meiner
• Gefühle, oder kann ich meine Gefühle in meiner Arbeit verwandeln?
• Welche Handlung kann ich mit meiner Trauer verbinden?
• Habe ich genügend Zeit und Raum für Trauer?
• Auf welche Art und Weise trauere ich?
• Welche Bedürfnisse habe ich in meiner Trauer, und kann ich diese anderen vermitteln?
(Quelle:Hannah Lothrop, „Gute Hoffnung – jähes Ende“, 8. Auflage 2000, ISBN 3-466-34389-5, Kösel-Verlag München, Seite 134 – 136, „Die vergessene Trauer des Vaters)